„Das ist doch nur menschlich“

„Ey, deine Schwester …“ – seitdem Marco Materazzi beim WM-Finale 2006 Zinedine Zidane zum Ausflippen gebracht hat, steht das Gesagte auf dem Platz und auf der Bank im Fokus der Medien und der Öffentlichkeit. Sender wie Sky engagieren dafür sogar eigens Lippenleser. Die Reaktion von Spielern und Trainern? Hand vor den Mund. Schade, findet Julia Probst. Die gehörlose Bloggerin kann nämlich Lippenlesen und findet die emotionalen Zwischenrufe der Profis vor allem eins: menschlich.

Wie kam es dazu, dass du bei Fußballspielen angefangen hast, verstärkt auf das zu achten, was die Spieler auf dem Platz zueinander sagen?


Da gab es einen Moment bei der WM 2006. Ich habe sehr lachen müssen als Jürgen Klinsmann in einem Spiel zu Lukas Podolski sagte: „Lukas, lass ihn, der ist es nicht wert.“ Meine Freunde wollten wissen, warum ich lache. Nach meinen Erklärungen musste ich dann immer erzählen, was gesagt wurde. Aus Jux habe ich 2009 angefangen das zu twittern. Was so gut ankam, dass ich meinen „Ableseservice“ bei der WM 2010 bei jedem Spiel angeboten habe.

Gibt es Spieler oder Trainer, die auf dem Platz besonders gesprächig sind? 


Oh ja! Besonders Thomas Müller ist bekannt dafür, dass er gerne auf dem Platz lamentiert. Jogi ist auch manchmal recht redselig. Schweinsteiger mag ich auch sehr gerne, er ist der emotionale Leader der Mannschaft.

Wie können Spieler/Trainer verhindern, dass jemand Lippen liest – außer durch Hand vorhalten?

Ha, warum sollte ich verraten, wie das geht? Grundsätzlich geht das schon. Aber ich finde, die Spieler bringen sich dadurch eigentlich nur um die Möglichkeit, authentisch zu bleiben. Die Spieler wie auch die Trainer – egal ob Amateur oder Profi – sind sich alle ähnlich: Sie sind menschlich und sie verhalten sich auch so, wenn sie ihren Gefühlen Ausdruck verleihen. Es sind ja keine Maschinen!

Dein Herzensthema ist ja, die Kommunikationswege für Gehörlose und Schwerhörige zu stärken. Was würdest du dir da für die Übertragung der EM wünschen? 



Was ich wirklich super finden würde, wäre folgendes: Wenn beim Finale der EM Gehörlose aus den Ländern der Finalisten die Möglichkeit bekommen würden, die Nationalhymne in Gebärdensprache zu singen und so Aufmerksamkeit für unsere Gebärdensprache und Anliegen in die breite Masse zu tragen. 
Das wäre wunderbar! In den USA gibt es das bei Sportveranstaltungen schon.
Und klar: Ich fände es gut, wenn die Untertitel eins zu eins mit dem Gesprochenen übereinstimmen würden. Damit alle Zuschauer und -hörer genau das gleiche Maß an Informationen bekommen. Ich möchte mit dem Ableseservice erreichen, dass mehr Aufmerksamkeit geschaffen wird für unsere Bedürfnisse.

Über die Person

Julia Probst ist Bloggerin und wurde 2010 durch ihren Ableseservice bei der Weltmeisterschaft bekannt. Sie setzt sich für die Gleichheit und Barrierefreiheit bei der Informationsvermittlung für Gehörlose ein. Für den Saarbrücker Tatort mit Devid Striesow lieferte sie zudem Fachberatung und schrieb auch am Drehbuch mit.

Über den Autor

Roya Piontek

Ein Magazin, vier Regionalausgaben und das alles in fünf Sprachen? Kein Problem. Je komplexer ein Projekt, desto spannender, findet Roya. Vor allem wenn sie als Redakteurin selbst die spannendsten Storys schreiben kann.

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