Der Copacabana-Superlativ

Von Fußball-Weltmeisterschaften wissen wir, dass sie das Spiel verändern. Das holländische 4-3-3 oder der spanische Ballbesitzfußball zum Beispiel sind mit dieser WM Vergangenheit. Fußball-Weltmeisterschaften verändern aber auch die Art, wie wir über das Spiel sprechen. Und da Fußball-Sprache richtungweisend ist allgemein auch für die Sprache der Gesellschaft, der Politik und Wirtschaft, müssen wir uns diesem Thema widmen.

Bereits vor der WM in Brasilien machte sich das Phänomen des „unbestimmten bestimmten Artikels“ breit, das dazu dient, eine bestimmte gemeinte Person ins Reich der Unbestimmtheit zu befördern, sie quasi zu entpersonalisieren bzw. zu verallgemeinern und sich im Moment des persönlichen Angriffs von selbigem loszusagen. „Einem Philipp Lahm darf das nicht passieren“ bedeutet soviel wie a), dass ihm dieser dämliche Fehlpass passiert ist, aber eben auch und vor allem b), dass er eigentlich nicht ihm, sondern eben einem Spieler passiert ist, dem er nicht passieren darf. Zum Beispiel einem Philipp Lahm. Somit geht es hier gar nicht um Philipp Lahm, dem so was ja eigentlich nicht passieren kann. Der „unbestimmte bestimmte Artikel“ ist einer, der in der Politik zum Beispiel noch nicht angekommen ist, dort aber in einer Frühform schon bekannt ist in Formulierungen wie „einem Land wie die Ukraine“ oder „einem Staatschef wie Wladimir Putin“.

Ein anderes sprachliches Phänomen ist derzeit auf dem Weg von einer Unart – wie seinerzeit „ja gut, ich mein“ – zu einem Platz im Duden. Wir wollen ihm dort den Namen Doppel-Komparativ bzw. Copacabana-Superlativ geben. Gestern, vor dem Spiel der Deutschen gegen Algerien blühte er geradezu auf, stößt die eigentlich so reiche deutsche Sprache doch beim Ausmaß von allem, was da in Porto Alegre vor sich gehen würde, an Grenzen.

Sehr – sehr, sehr – noch, noch sehr

Das Wort hat Oliver Kahn, der einen „sehr, sehr starken Gegner“ erwartet, der nicht „viele, viele Gelegenheiten“ zulassen wird, auch wenn die Deutschen über „weit, weit mehr Erfahrungen“ verfügen. Klar, die „äußerst extremen Bedingungen“ von Fortaleza waren in Porto Alegre nicht zu erwarten, obwohl Kathrin Müller-Hohenstein zu berichten weiß, dass hier ein „sehr, sehr kühler Wind“ weht. Und dann ist ja auch noch Ramadan. Oli Kahn weiß, dass „Ernährung eine riesige Rolle spielt, bei der wahnsinnig viel optimiert wurde“. Da legt man „extremst“ Wert drauf. Aber die Algerier, das weiß der Oli – er hat ja früher selbst gespielt – können damit umgehen. „Sehr, sehr kompakt“ werden sie stehen, außerdem „sehr, sehr defensiv“, weshalb sie „sehr, sehr gefährlich“ sind. Und wenn sie das alles effektiv machen, glaubt Oli Kahn, dann – das hat er wirklich gesagt – dann sind sie „noch, noch sehr gefährlicher“.

Ja, es ist schon der Wahnsinn, was sich da in Brasilien abspielt. Gerade jetzt, wo es in der K.O.-Runde ja mit jedem Spiel vorbei sein kann. Da geht´s nicht nur ums Überleben, auch nicht ums nackte Überleben. Oli Kahn hat es selbst erlebt – er hat ja früher selbst gespielt –, es geht „ums absolut nackte Überleben“. Das muss man sich mal vorstellen. Wenn es da mal nicht so läuft, findet Oli Kahn, dann „müssen sich die Spieler auch mal irgendwo Gedanken machen“. Wo auch immer.

Über den Autor

Lutz Zimmermann

Vom kleinen Dachstudio ins Großraumbüro in Ehrenfeld – seit Lutz die Agentur 2011 gegründet hat, ist aus einem Zwei-Mann-Unternehmen eine 13-köpfige Agentur geworden. Was sich in all der Zeit nicht geändert hat, ist Lutz‘ Liebe für flache Hierarchien und griffige Überschriften. Und wenn der 1. FC Köln nicht gerade verloren hat, ist er jederzeit für einen Plausch über Sport zu haben.

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