Nur ein Stilmittel

Der Fall Relotius geht auch das Content Marketing an: Sind wir dabei, uns mit dem Storytelling zu verrennen?

Der Fall Relotius, der Medien-Deutschland seit Wochen elektrisiert, geht nicht nur den Journalismus etwas an. Auch das Content Marketing sollte sich davon irritieren lassen. Schließlich beten beide Branchen denselben Götzen an: das Storytelling.

Im Kern ist Storytelling ein Stilmittel, um Leser zu packen und zu binden. Es bedient die uralte Lust des Menschen an der Erzählform. Hollywood arbeitet seit Jahrzehnten damit, ebenso viele Nachrichten- und Reportagemagazine. Und längst hat auch die Unternehmenskommunikation ihre Lust am Erzählen entdeckt. Das ist erfreulich, weil es Kommunikation emotionaler und menschlicher macht.

Aber wie mit allen Stilmitteln kann man es auch mit dem Storytelling übertreiben: Wenn Protagonisten zu Spielfiguren eines vorgezeichneten Plots werden, Orte zu Schauplätzen, das Drumherum zur Requisite und wenn die Wahrheit im Nebel der Geschichte verschwimmt, ist dieser Punkt erreicht. Der Journalismus-Professor Jay Rosen bemängelt in der Süddeutschen Zeitung: „Vielen Journalisten geht es einfach um das kulturelle Prestige, das mit Storytelling verbunden ist.“ Die Story wird nur noch um ihrer selbst Willen erzählt, die Fixierung auf die Form führt weg vom Inhalt, von den Fakten.

Content Marketing oder Corporate Publishing, die sich so gern mit „den richtigen Medien“ messen, sind von dieser Gefahr nicht frei. Denn auch Unternehmen und Agenturen brüsten sich gern mit all den Awards, die nicht selten für die beste Story vergeben werden (wir auch). So ist Storytelling zuletzt zum scheinbaren Allheilmittel geworden. Dabei gilt für uns wie im Journalismus: Storytelling ist nur ein starkes Stilmittel. Eines von vielen.

Über den Autor

Michael Aust

Wörter wie Mukoviszidose und Pädiatrische Hämatologie gehen Michael flüssig über die Lippen. Seit mehr als 15 Jahren schreibt er inzwischen über Gesundheitsthemen – und hat sich dabei eine Menge Medizinerwissen angeeignet. Trotzdem: Wenn beim Schreiben aus einer losen Wörtersammlung eine Geschichte entsteht, ist Michael doch froh, nicht Arzt sondern Redakteur geworden zu sein.

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