„Erst wenn es schmerzt“

Was digitale Transformation (DT) in letzter Konsequenz bedeutet, lässt sich heute nur erahnen. Sicher ist, dass sie vieles verändern wird: Wie wir arbeiten, aber auch wie wir kommunizieren und leben. Und anders als bei der industriellen Revolution, die auch einfachen Arbeitern Jobs und damit einen gewissen Wohlstand brachte, wird durch die DT die Arbeitswelt insofern umgekrempelt, dass gerade viele produzierende Jobs langfristig wegfallen. Wissen und Service werden wichtiger, was die Aufstellung von Unternehmen entscheidend beeinflussen wird. Das Team um Tim Hufermann, Inhaber der Kölner Digitalagentur JUNGMUT, berät Unternehmen bei der Transformation – und versucht selbst so konsequent wie möglich dem Wandel gerecht zu werden.

Tim, wie sind deutsche Unternehmen für den Transformationsprozess gerüstet?

Leider nicht so gut. Vielen ist nicht bewusst, wie grundlegend der Wandel sein wird – oder sie verdrängen das Thema, bis sich schmerzhafte Einschnitte zeigen. Erst dann wird agiert. Und dann leider oftmals sehr kleinteilig. Die Unternehmen fokussieren sich lieber auf kurzfristige Ziele wie bessere Vertriebs-Ergebnisse und vernachlässigen dabei die langfristige Perspektive und Chancen, die die DT bieten kann. Vor allem in großen Konzernen erleben wir das immer wieder. Kleine und mittelständische Unternehmen sind erfahrungsgemäß flexibler.

Was sind andere typische Fehler?

Ein großer Fehler: zu sehr in der eigenen Welt verhaftet sein. Wir holen bei unseren Workshops die Leute als erstes aus ihrer gewohnten Umgebung raus. Bringen sie mit Branchenfremden zusammen oder lassen sie in ganz andere Rollen schlüpfen. Nur so können Prozesse jenseits des operativen Alltags betrachtet und optimiert werden. Ich kenne zum Beispiel eine große Bank, die Innovation Hubs eingerichtet hat – diese aber exakt in der gleichen Büroumgebung platziert wie die restlichen Mitarbeiter der Zentrale. Inklusive Anzugzwang im Büro. So ersticke ich natürlich jedes kreative Denken schon im Keim.

Wie geht Ihr bei Projekten vor?

Wir versuchen uns bei unserer Arbeit an den Prinzipien von Service Design zu orientieren und starten in der Regel mit der Analysephase. Wir schauen, wer genau die Zielgruppe der Veränderung ist und wie sie die Sache einschätzt. Wir gehen vom Nutzer aus. So wollte beispielsweise ein Hersteller von Medizingeräten, dass wir ihm eine App kreieren, die die Benutzung und Abrechnung von bestimmten Pumpen erleichtert. Problem: Mit Smartphones funktioniert das in Krankenhäusern nicht. Also haben wir ein Onlineportal entwickelt, dass die Ablesung via Scanner ermöglicht und gleichzeitig dem Hersteller bzw. dem Vertrieb ermöglicht, den Status der Geräte abzufragen.

Gibt es auch Beispiele für Unternehmen, die größer denken?

Ich finde, Tesla ist so eins. Der Gründer hat nichts mit der Automobilbranche zu tun – mit dem Ergebnis, dass Tesla das Thema Mobilität so weit und neu denkt, dass es letztlich eine ganze Branche zum Umdenken zwingt. Und das, obwohl es eigentlich nur einen minimalen Marktanteil hat. In Deutschland ist Dornbracht ein gutes Beispiel. Dort wird Wandel tatsächlich als Chance gesehen, das eigentliche Produkt weiter gedacht und neue Technologien ausprobiert.

Und wie geht Ihr bei JUNGMUT mit DT um?

Als erstes versuchen wir – bei aller Professionalität und Ernsthaftigkeit – nicht die Offenheit und Neugier zu verlieren. Bei uns im Team sind alle möglichen Studienrichtungen vertreten und die Auseinandersetzung mit technischen Neuerungen ist ausdrücklich erwünscht. Ich sehe mich zudem als Teammitglied und weniger als Bestimmer. Ich mache das deutlich, in dem ich räumlich die Nähe zum Team suche und mein Büro weitestgehend aufgebe. Denn ich glaube, dass sich mit DT auch das Profil von Führungskräften verändern wird. Weg vom hierarchischen Leiten, sondern hin zum Leitlinien bieten, in denen sich jeder flexibel bewegen kann.

Wie kommuniziert ihr intern?

Am ergiebigsten finde ich immer noch das klassische Face-to-Face-Gespräch und Meetings. Das ist einfach konkret und verbindlich. Ansonsten nutzen wir Slack. Das Messaging-Tool ermöglicht es, verschiedene Kanäle zu verschiedenen Themen und Projekten und auch mit dem Kunden einzurichten. So kann sich jeder die Kanäle aussuchen, die für ihn relevant sind. Aber wir haben auch einen reinen GIF-Kanal für Spielereien. Ablenkung ist genauso wichtig.

Und was empfiehlst Du anderen Unternehmen?

Zuerst muss ich wissen, wer ist meine Zielgruppe und in welchen Kommunikationskanälen bewegt sie sich? Wenn ich das weiß, kann ich den Kanal und das Medium festlegen. Das kann dann eben auch Snapchat sein. Das klassische Mitarbeitermagazin sehe ich ehrlich gesagt weniger. Zumindest nicht bei Themen mit zeitlicher Aktualität.
Inhaltlich wird Ehrlichkeit zunehmend wichtiger. Gerade junge Arbeitnehmer suchen immer stärker den „guten Zweck“ in ihrer Arbeit. Das erfordert seitens des Arbeitgebers Mut zur Transparenz. Was sich lohnt. Denn durch Leaks und Social Media ist die Informationsdichte mittlerweile so schnell und hoch – Vertuschtes kommt früher oder später raus und dann ist der Imageschaden umso höher.

Liest Du denn eigentlich noch Printmedien oder ausschließlich digital?

Schon sehr viel digital – die Infos sind einfach aktueller. Aber ich habe jüngst erst wieder eine der kompakten Tageszeitungen im Flugzeug in der Hand gehabt und gedacht, dass ich diese Art der Newsaufbereitung auch mag und schätze. Die Artikel haben schon eine andere Tiefe. Gleichzeitig ist mir klar, dass ich im Grunde die Nachrichten von gestern lese …
Aber bei aller Schnelligkeit, die uns Digitalität bietet, hoffe ich, dass Ausdrucksfähigkeit und ein gutes Storytelling nicht abhanden kommen. Dafür ist Sprache einfach zu wichtig – auch um DT den Menschen zu vermitteln.

Über JUNGMUT

JUNGMUT, 2007 als digitale Kommunikationsagentur gegründet, hat sich auf Digital Brand Building und UX-Design spezialisiert. Mit Standorten in Köln und Berlin berät das Team – allesamt Digital Natives – Unternehmen in allen Fragen des digitalen Wandels und identifiziert dessen Herausforderungen und Chancen.

Über den Autor

Roya Piontek

Ein Magazin, vier Regionalausgaben und das alles in fünf Sprachen? Kein Problem. Je komplexer ein Projekt, desto spannender, findet Roya. Vor allem wenn sie als Redakteurin selbst die spannendsten Storys schreiben kann.

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