Photoshop wird 25 Jahre alt und wir erinnern uns an einige aktuelle Bilder, bei denen mit dem Programm ganze Arbeit geleistet wurde: Sei es im Boulevard, wo Christina Aguileras Baby Ähnlichkeit mit einer Porzellanpuppe hatte. Sei es in der Politik, wo Angela Merkel und weitere Personen aus dem Gruppenfoto eines Trauermarsches herausretuschiert wurden. Wir haben mit dem Fotograf Maurice Weiss von der Berliner Ostkreuz-Agentur über Trends in der Bildretuschierung und seinen persönlichen Umgang mit Photoshop gesprochen.
Herr Weiss, hat Photoshop die Fotografie unehrlicher gemacht?
Schon lange vor Photoshop wurde retuschiert und manipuliert. Das ist gewissermaßen der Geburtsfehler der Fotografie, nur dass es früher handwerklich aufwändiger war und heute mit digitaler Bildbearbeitung einfacher scheint. Schon die Maler kannten diesen Konflikt zwischen der Möglichkeit der Idealisierung und der Annäherung an die Realität.
Auf welche Weise können Bilder manipuliert werden?
Der Klassiker ist die Verschönerung von Menschen, die man jünger, schlanker oder makelloser macht. Man sollte aber nicht nur auf die Möglichkeiten von Photoshop schauen, sondern sensibel dafür sein, wie Bildaussagen noch massiv verändert werden können. Das beginnt ja schon mit dem Auftrag des Fotografen. Soll er vor Ort zeigen, wie es ist oder soll er gezielt Bilder zum Beispiel von der Armut in Afrika oder dem Reichtum in Monaco machen – und den Rest ausblenden? Soll er nicht zeigen, dass viele Afrikaner inzwischen ein Mobiltelefon besitzen, dass es in Monaco auch einfache Fischerleute gibt? Und nicht zuletzt ist die Bildunterschrift entscheidend, was wir auf einem Bild wahrnehmen. Ich habe mal ein Foto einer Frau mit Kapuze gemacht, in der Bildunterschrift stand nachher das Wort „Kopftuchdebatte“ – und schon wurde aus der Frau eine Muslima, sie hat sich bitterlich bei mir beschwert.
Wer sollte denn die Aussage eines Bildes bestimmen?
Im journalistischen Umfeld ist der Fotograf verantwortlich für die Nutzung seiner Bilder. Ich arbeite viel in Deutschland und Frankreich und sehe hier einen kulturellen Unterschied. Von französischen Zeitungen bekomme ich immer wieder Rückfragen von den Redakteuren: Was ist auf dem Bild zu sehen, wie ist das gemeint, was ist der Hintergrund? Das findet in Deutschland so nicht statt. Wir haben eher eine Wortkultur, bei uns soll das Foto belegen, was der Redakteur geschrieben hat. In Frankreich hat das Foto eine ganz eigene Aussage, der Fotograf hat dort eine viel stärkere Autorenschaft und das Foto darf ausdrücken, was der Text nicht erzählen kann. Einen solchen Umgang mit dem Fotografen als Autor würde ich mir auch in Deutschland wünschen.
Wie halten Sie es persönlich mit Photoshop?
Ich benutze das Programm, um meine Fotos lesbar zu machen. Wenn wir die Rohdaten eines Fotos betrachten, ist das oft nicht schön anzuschauen. Im Grunde mache ich am Computer klassische Dunkelkammerarbeit: Ich bearbeite Licht, Kontrast und wähle den Ausschnitt des Bildes. Das bedeutet auch, dass ich von den Möglichkeiten des Programms nur sehr wenige nutze. Photoshop ist ja inzwischen ein richtiges Monster mit unendlich vielen Feineinstellungen geworden. Viele Fotografen verwenden inzwischen wesentlich überschaubarere Programme wie Lightroom. Photoshop wird heute überwiegend von der Werbung eingesetzt. Wobei es auch dort ein Umdenken gibt, da viele Werbekunden sich an den künstlichen Bilderwelten stören.
Verlangen manche Auftraggeber von Ihnen eine Retusche?
Ja, das kommt natürlich vor. Ich habe zum Beispiel einmal den Berliner Bischof Wolfgang Huber fotografiert. Der Mann hat eine Warze auf der Nase. Eine Redaktion hat mich aufgefordert, sie weg zu retuschieren. Ich war der Meinung: Wenn Herr Huber mit der Warze leben kann, dann können wir es auch. Wir sind durch Werbung und Kinofilme an Makellosigkeit gewöhnt worden und stören uns zu schnell an der Unperfektheit der Realität. Das führt soweit, dass manche Abgebildeten teils sogar per Anwalt verfügen, dass Bilder nicht gedruckt werden, weil die Falten nicht retuschiert wurden.
Und wenn jemand nachträglich Ihre Fotos retuschiert?
Wenn ein Auftraggeber meine Bilder stark verändert, muss er dies kennzeichnen, ansonsten habe ich Möglichkeiten, juristisch dagegen vorzugehen. So muss das Bild mit einem „M“ und dem Namen des Grafikers versehen werden, damit klar ist, dass ich als Fotograf nicht zwangsläufig dahinter stehe. Solche Konflikte entschärft man am besten im Vorfeld, indem man sich mit der Redaktion bespricht. Ich mache immer klar, dass ich nicht retuschiere.
Welchen Vorteil hat man am Markt, wenn man diese Haltung vertritt?
Man verspricht, glaubwürdige und sinnvolle Fotos zu liefern. Photoshop ist gewissermaßen ein Angriff auf die Vertrauenswürdigkeit von Pressefotos. Wer Bilder im journalistischen Umfeld nachweislich manipuliert, ist schnell weg vom Markt. Ein vertrauenswürdiger Fotograf weiß, was er mit Photoshop tun darf. Fotografieren an sich ist mit der heutigen Technik etwas sehr Banales geworden. Fast jeder fotografiert täglich irgendetwas, vielen Laien gelingen sehr schöne Bilder. Für was bekommt ein Berufsfotograf heute noch sein Honorar? Ich meine: für seine Glaubwürdigkeit.
Sehen Sie in Ihrer Branche auch einen Gegentrend zur Bildretuschierung?
Viele Studenten der Ostkreuzschule fotografieren heute wieder bewusst auf Film und entziehen sich damit den zahlreichen Einstellungsmöglichkeiten der digitalen Fotokameras. Natürlich werden die meisten dieser Fotos später auch eingescannt und könnten potenziell bearbeitet werden – doch zumindest gibt es ein Negativ, das nicht so leicht verändert werden kann.
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