Egal, ob es um verkaufte E-Bikes, ärztliche Behandlungsfehler oder Aktienkurse geht: Wann immer etwas im Vergleich zu früher gestiegen ist, folgt auf die Nennung der schlichten Prozentzahl meist unweigerlich der Zusatz „Tendenz steigend“. Manchmal wird noch das Wörtchen „stark“ hineingequetscht, und beinahe immer geht der Anmerkung ein flotter Gedankenstrich vorweg. Dass sich jemand tatsächlich großartig Gedanken gemacht hat, dürfte aber die Ausnahme sein. Den meisten Schreibern geht es schlicht darum, eine gewisse Fallhöhe – sprich: Aufmerksamkeit beim Leser – zu erzeugen. Den wenigsten ist bewusst, dass sie sich durch den Begriff „Tendenz“ auf mathematisch vermintes Terrain begeben.
Aus statistischer Sicht ist die „Tendenz“ der beschreibende Bestandteil des „Trends“. Der wiederum ist als Ergebnis einer Zeitreihenanalyse definiert als „signifikante Häufung von Merkmalen über den Zeitablauf“, begleitet von einer „Grundtendenz (steigend/fallend)“. So weit, so wissenschaftlich korrekt. In einer Vielzahl von Fällen aber reicht das Zahlenmaterial, das der Schreiber zur Verfügung hat, gar nicht aus, um eine solche Aussage hinreichend zu begründen. Und selbst wenn: Welcher Journalist hat die Zeit (oder das nicht weniger notwendige Know-how), den Statistiken auf den Zahn zu fühlen und nach einem Trend zu forschen?
Problematisch ist der Gebrauch des Wortes „Tendenz“ noch aus einem anderen Grund: Der arglose Leser kann leicht den Eindruck gewinnen, der Autor mache eine Aussage für die Zukunft. „Tendenz steigend“ klingt wie eine hellseherische Prognose, nach dem schlichten Motto: Morgen gilt noch, was gestern und vorgestern der Fall war. Das aber ist nicht nur Humbug, sondern sogar gefährlich, wenn es beispielsweise um Geldanlagen oder Immobilienpreise geht. Also: lieber darauf verzichten oder alternative Formulierungen wählen wie „Nicht erst seit gestern…“. Übrigens: Das Gegenstück „Tendenz fallend“ findet man in Texten so gut wie gar nicht – wieso eigentlich?
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