Gendern oder nicht gendern? Teil I

Das fragen wir uns immer öfter. Denn die Schlacht um das generische Maskulinum tobt – auch in Unternehmensmagazinen. Was spricht für geschlechtsneutrale Texte?

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, schrieb der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein schon 1918 – da lag die Genderdebatte noch in ferner Zukunft. Und doch trifft das Zitat den Nerv der Diskussion. Denn die Grenzen der Sprache zwingen wir uns selbst auf, wenn wir patriarchalen Strukturen noch immer folgen und in der Sprache das Männliche in den Fokus stellen.

Die Genderdebatte hat diesen Problemfall längst verstanden. Lässt man in der Sprache die Frau außen vor, bleibt das nicht ohne Folgen. Schließlich dient Sprache nicht bloß als Hülle, die keinen Einfluss auf das Gedachte hat – sie bestimmt unser gesamtes Denken und damit unsere Realität entscheidend mit. Die Grenzen und Freiheiten unserer Lebenswirklichkeit gründen auf ihrem Reichtum. Das zählt im alltäglichen ebenso wie im handwerklichen Gebrauch, ob nun im Journalismus oder der Unternehmenskommunikation.

Und zu dieser Welt gehören, auch wenn einigen das nicht zu schmecken scheint, ebenso gleichberechtigte Frauen, Inter- und Transsexuelle oder, um es kurz zu fassen, alle Menschen, die ein anderes Geschlecht als das männliche haben. Diese Einsicht steht im Hintergrund, wenn die Genderdebatte die Frage thematisiert, ob und wie neben den Männern auch Frauen und Andersgeschlechtliche gleichberechtigt in der Sprache Platz finden können.

Praxis ohne Diskriminierung
Ohne Frage: Verständlichkeit, Anwendbarkeit und Transparenz sind Eckpfeiler einer gelungenen und funktionierenden Sprachpraxis. Allerdings nur so lange, wie Sprache nicht als Propagandamittel missbraucht wird. Beginnt sie aber, durch das generische Maskulinum zu diskriminieren und Frauen auf der Vorstellungsebene in den Hintergrund zu drängen, ist die gängige Praxis kritisch zu hinterfragen. Bequemlichkeit und die fehlende Bereitschaft, neue Entwicklungen der Sprache mitzugehen, reichen jedenfalls nicht für eine rationale Begründung aus. Damit lässt sich das das Gendern nicht einfach als Unsinn abtun.

Ob Binnen-I (StudentInnen), Splitting (Student/Innen), Gender Gap (Student_Innen) oder Asterisk (Student*Innen): Es gibt viele Varianten, um die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Sprache zu erreichen. Aber auch für diese einfachen Formen des Genderns sind die Bereitschaft und der Wille zu Veränderungen notwendig. Der Sprachwandel der letzten Jahrhunderte hat eindrücklich gezeigt, dass wir uns kommunikativ weiterentwickeln können. Vieles spricht dafür, dass das Gendern die Grenzen unseres Denkens ausweiten kann – und damit auch die Grenzen unserer Welt.

Nächste Woche beleuchtet mein Kollege Michael Aust was gegen geschlechtsneutrale Texte spricht.

Über den Autor

Joachim Neubauer

Ein Tag, fünf verschiedene Themen? Kein Problem, nur die Struktur muss stimmen. Wie in einer guten Geschichte. Und die findet man nicht nur in Büchern, sondern auch in guten Magazinen. Ganz wichtig dabei: authentische Gespräche mit Menschen aus dem Alltag – für Joachim das A und O einer guten Story.

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