„Handyfotos bewegen die Massen“

Jeden Tag entstehen Millionen Handy-Fotos. Viele werden irgendwann gelöscht oder vergessen. Aber auch Künstler nutzen diese schnelle und unkomplizierte Art mit dem Smartphone zu fotografieren und entwickeln spannende und hochwertige Werke. Das Indiemagazin THE SMART VIEW widmet sich seit 2014 solcher fotografischen Konzepte, wählt Künstler und Arbeiten aus, präsentiert diese halbjährlich im Magazin und online und kombiniert sie mit Interviews und wissenschaftlichen Texten. Wir haben mit Herausgeberin Rosa Roth gesprochen.

Wie bist du auf die Idee gekommen, dich mit Handyfotografie zu befassen?

Während meines Fotografie-Studiums kam immer wieder die Frage auf, ob Fotografie überhaupt Kunst sei. An irgendeinem Punkt war ich der ganzen Diskussion überdrüssig. Wenn es da in der Kunst immer noch ein Akzeptanzproblem gibt, wird es Zeit, dass sich in der Hinsicht etwas ändert. Ich entwickelte einige eher experimentelle Arbeiten zum Thema Handyfotografie, im Sommer 2014 folgte dann das Konzept für THE SMART VIEW, das ich an der Hochschule als Bachelorthesis vorstellte. Doch es wurde abgelehnt, ein herber Schlag.

Du hast trotzdem damit weitergemacht.

Ja, weil ich schon vorab begonnen hatte, mir ein internationales Netzwerk in der Szene aufzubauen. Von diesen Leuten erhielt ich ziemlich viel Zuspruch. Spätestens als ich den ersten Beitragsaufruf startete und über 60 Einsendungen aus der ganzen Welt erhielt, war ich mir sicher, dass das Magazin etwas wäre, worauf ein paar Menschen da draußen schon gewartet haben.

Was genau reizt dich an dieser Art der Fotografie?

Das Medium Fotografie ist in den letzten Jahren für alle Schichten der Bevölkerung zugänglich geworden. Handyfotografie verbindet Menschen aus der ganzen Welt, gerade auch durch soziale Netzwerke. Spätestens mit dem wahnsinnigen Erfolg der Picture-Sharing-Plattform Instagram ist klar, dass Handyfotografie mehr kann als herkömmliche Fotografie. Sie ist teilbar und sie bewegt die Massen. Instagramer aus aller Welt gruppieren sich, bilden Gemeinschaften und treffen sich auch offline. Täglich werden auf Instagram 60 Millionen Bilder hochgeladen. Das heißt für mich, dass ich die Möglichkeit habe, auf eine schier unendliche Masse an Bildern zurückzugreifen und diese für das Magazin zu nutzen. Dort arbeite ich stark kuratorisch, was bedeutet, dass ich Instagramer auswähle und Fotostrecken aus ihren Blogs zusammenstelle.

Wie sehr kommt es auf Bildqualität an?

Dass es sich bei Handybildern um Fotos mit schlechter Bildqualität handelt, ist ein noch weit verbreitetes Vorurteil. Selbst ich hatte meine Bedenken, ob Handyfotografie überhaupt druckbar sei. Sowohl im Magazin als auch für den Ausstellungsraum. Aber wie sich am Ende herausstellte war das ein ziemlich dummer Gedanke. Die Smartphonehersteller haben sich in den letzten zwei Jahren stark auf die Kameras konzentriert. Diese sind mittlerweile genauso gut wie eine Digitalkompaktkamera und entwickeln sich stets weiter. Die Auflösungen werden größer, die Linsen werden schärfer. Spätestens als Apple seine neue Iphone 6-Kampagne gelauncht hat und nun weltweit Hochhäuser mit Handyfotografie schmückt, brauchen wir vor mangelnder Bildqualität wohl keine Angst mehr zu haben.

Wie beeinflusst die Handyfotografie unsere Wahrnehmung?

Ungemein. Fotografisch gesehen müssen wir die Welt nicht mehr durch einen eng gefassten Sucher betrachten. Unsere Wahrnehmung hat sich durch das Display erweitert, dass die Realität ohne Versatz abbildet. Wir brauchen sie nur noch im richtigen Moment mit dem Finger zu berühren und schon ist das Bild im Kasten. Und das zu jeder Zeit und an jedem Ort. Das Handy hat man immer in der Tasche. Auch unsere Selbstwahrnehmung hat sich durch die Handyfotografie verändert. Das Selbstporträt war noch nie so beliebt wie heute. Man kann also davon ausgehen, dass das Handybild zu einem wichtigen Bestandteil unserer Alltagskultur geworden.

Kann diese Art der Fotografie Kunst sein?

Man fragt sich ja schon lange, ob Fotografie Kunst sein kann. Mit THE SMART VIEW habe ich versucht, meinen Teil zur Etablierung der Handyfotografie als Kunstform beizutragen. Denn ich glaube, dass in den Arbeiten vieler Menschen da draußen ganz viel Potenzial steckt. Deshalb ist es mir auch ein besonderes Anliegen, nicht nur professionelle Fotografen in meinem Magazin zu präsentieren, sondern Menschen, die durch ihren besonderen Blick auf die Welt aus der Masse herausstechen. Zu jedem Magazin-Release wird es auch eine Ausstellung der beitragenden Künstler geben. Das Magazin ist daher auch gleichzeitig als Ausstellungskatalog gedacht. Das Release der ersten Ausgabe haben wir beispielweise im Juli diesen Jahres, zur Phototriennale in Hamburg, mit einer dreitägigen Ausstellung gefeiert.

Wo findest du die Künstler und ihre Arbeiten?

Natürlich beobachte ich viel was in den Netzwerken und auf Photo-Sharing Plattformen passiert. Die Arbeiten für das Magazin bekomme ich aber über einen Beitragsaufruf. Vor jeder Ausgabe gibt es einen „Call for submissions“ bei dem sowohl Künstler, Fotografen, als auch Autoren die Möglichkeit haben, ihre Arbeiten für das Magazin einzureichen und ihr Portfolio auf unserer Webseite hochzuladen. Instagramer haben zudem die Möglichkeit ihre Fotos über einen speziellen Hashtag einzureichen. In der letzten Woche habe ich gerade #thesmartview003 veröffentlicht und man hat auf Instagram jetzt schon die Möglichkeit, seine Fotos mit dem Hashtag für die 3. Ausgabe zu versehen.

Was thematisieren die Handy-Fotografen zum Beispiel?

Ich nenne mal zwei Beispiele aus der ersten Ausgabe: Jackson Lawlor Eaton aus Australien zeigt dort Selbstportraits, die er zunächst mit dem Handy im Spiegel geschossen hat. Dann hat er Körperteile von sich durch die Google-Bildsuche geschickt und sie durch die Suchergebnisse ersetzt. Das Ergebnis sind dann Collagen. Oder Khesrau Behroz gebürtig aus Afghanistan. Er zeigt eine Strecke aus Screenshots, die die Push-Benachrichtungen einer Drohnen-App zeigen. Diese meldet immer, wenn im Nahen Osten ein Drohnenangriff der USA gestartet wurde. Diese Screenshots kombiniert er dann mit einem Handyfoto, von dem Ort an dem er sich gerade befand als er die Nachricht bekam und kombiniert so belanglose Alltagsituationen mit erschütternden Einblicken in die amerikanische Kriegsführung.

Was wisst ihr über eure Leser? Von wem und wo werdet ihr gelesen?

Derzeit verkauft sich das Magazin international. Unsere Leser kommen aus der ganzen Welt, sind teilweise selbst Handyfotografen und Kreative, Foto- und Kunstinteressierte; aber auch von Galeristen wird das Magazin gerne gekauft.

Wie finanziert ihr eure Arbeit, die Plattform und das Magazin?

Den Druck für die erste Ausgabe konnten wir erfolgreich mit einem Crowdfunding-Aufruf finanzieren. Derzeit verdienen wir aber noch kein Geld. Daher können wir leider nicht so schnell und viel für das Magazin arbeiten, wie wir uns das gerne wünschen. Wir sind auf der Suche nach passenden Investoren und Sponsoren, die uns sowohl bei der Printproduktion als bei den Ausstellungen unterstützen wollen.

Gibt es schon einen thematischen Ausblick auf die kommende Ausgabe?

THE SMART VIEW ist nicht als monothematisches Magazin konzipiert, sondern setzt sich immer aus den besten Beiträgen verschiedenster Autoren und Fotografen zusammen. Gerade sind wir noch dabei über 7.000 Instagrambeiträge und um die 100 Portfolios zu sichten, die uns Menschen aus der ganzen Welt für die nächste Ausgabe eingesendet haben. Das ist ein ganz schöner Berg und wir sind überwältig von all den tollen Fotografen, die bei uns mitmachen wollen.

Foto: Sebastian Fuchs

Über den Autor

Mirjam Sieger

Ob Hunde, Pflanzen oder Urbanismus – Mirjam kennt zu jedem Thema das passende Nischenmedium. Als Sammlerin guter Magazine lässt sie sich von Indie-Neuheiten genauso inspirieren wie von Flohmarktfunden. Dabei entstehen dann auch schon mal neue Bildkonzepte und Grafikideen, die sie in ihre Arbeit bei ZE miteinfließen lässt.

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