„Schlechtes Gewissen zieht nicht mehr“

Wie können Unternehmen glaubhaft über das Thema Nachhaltigkeit sprechen? Wir haben uns mit Dr. Meike Gebhard unterhalten, die seit acht Jahren Geschäftsführerin der Nachhaltigkeitsplattform Utopia ist.

Frau Gebhard, was macht Utopia genau?

Mit unserer Website wollen wir die breite Masse der Verbraucher erreichen und sie für den nachhaltigen Konsum begeistern. Utopia verfolgt von Anfang an das Ziel, den Mainstream für Nachhaltigkeitsthemen zu gewinnen. Heute besuchen 750.000 Menschen pro Monat unsere Webseite, über Facebook erreichen wir pro Woche eine weitere Million. Auf Basis unserer Expertise als Betreiber von Deutschlands größter Nachhaltigkeitsplattform beraten wir Unternehmen darin, wie sie ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten erfolgreich an den Endverbraucher kommunizieren können.

Wie hat sich die Kommunikation über Nachhaltigkeit verändert?

In den 90er Jahren waren Nachhaltigkeit und vor allem Klimaschutz politische Ziele, aber noch keine etablierten Unternehmensthemen. Seit 2007 ändert sich das. Es war die Zeit des Al Gore-Films „Eine unbequeme Wahrheit“ und des IPCC-Weltklimaberichts. Infolgedessen wurde Nachhaltigkeit verstärkt auch zum Fokusthema für Unternehmen, die Kommunikation richtete sich direkt an den Verbraucher. Hier sind aber natürlich längst nicht alle Branchen gleich aktiv.

Wie erklären Sie sich die Unterschiede?

Zum einen ist das Bewusstsein für die eigene Verantwortung noch unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt aber auch Branchen, die haben mehr Druck, etwa ein höheres Risiko, durch Social Media und eine kritische Öffentlichkeit kontrolliert zu werden. Das betrifft vor allem produzierende Unternehmen, die ihre Produkte in Entwicklungs- und Schwellenländern herstellen lassen. Heute gibt es Enthüllungsberichte über Umweltverschmutzung oder die Ausbeutung von Arbeitern in weit entfernten Ländern, verbreitet durch klassische Medien und soziale Netzwerke. Unternehmen können ihre Verantwortung nicht mehr so einfach auslagern wie ihre Produktion.

Welche Branchen machen es ganz gut?

Wenn man von der Sichtbarkeit der nachhaltigen Produkte ausgeht, dann sind hier sicher einige Lebensmittel-Hersteller und die Kosmetik-Industrie zu nennen, auch bei der Modebranche tut sich zunehmend etwas. In der Automobilwelt hält man sich zurzeit eher zurück, auch aus der Finanzbranche kommt insgesamt eher wenig.

Wie kommuniziert man Nachhaltigkeit am besten an die Verbraucher?

Verbraucher interessieren sich für konkrete Produktgeschichten, nicht für theoretische Unternehmensstrategien. Wenn man erzählen kann, dass ein Produkt umweltfreundlich hergestellt wurde, kommt das an. Man sollte aber nicht über jede nachhaltige Maßnahme in großen Tönen berichten. Hier warnen wir Unternehmen regelmäßig davor, mit Selbstverständlichkeiten Werbung zu machen. Manche Dinge macht man heute einfach, ohne groß darüber zu reden. Unternehmerische Verantwortung für den Schutz der Umwelt und menschenwürdige Produktionsbedingungen zu übernehmen ist heute viel selbstverständlicher, als vor zehn, zwanzig Jahren.

Sollte man den sperrigen Begriff Nachhaltigkeit vermeiden?

Besonders sexy war der Begriff noch nie, gleichzeitig ist er heute aber auch in aller Munde. Ich würde ihn als Überbegriff erhalten, aber bei Produkten oder Dienstleistungen lieber konkret werden. Dafür gibt es eine Reihe von Adjektiven – bio, öko oder fair zum Beispiel. In Amerika funktioniert der Zusatz ‚green’ für alles was nachhaltig ist sehr gut. In Deutschland ist das zu stark politisch besetzt. Wir bei Utopia sprechen auch vom ‚bewussten Konsum’, um damit deutlich zu machen, dass es im Grunde um eigenverantwortliches Handeln geht.

Was halten Sie von Nachhaltigkeitsberichten?

Sie erfüllen ihren Zweck, denn Sie zwingen dazu, die eigenen Nachhaltigkeitskennzahlen zu erheben und sind Grundlage für jede messbare Nachhaltigkeitsstrategie. Ein Nachhaltigkeitsbericht ist aber kein Indikator für die Nachhaltigkeitsleistung des Unternehmens. Immerhin schafft er ein Bewusstsein, man beschäftigt sich mit den eigenen Zahlen und kann sie vergleichen. Wer darüber hinaus mehr tun möchte, hat ein breites Feld an Möglichkeiten vor sich. Auf unserer Webseite können Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten vorstellen, sich Feedback von kritischen Konsumenten einholen oder Produkte testen lassen.

Was ist entscheidender: Der kritische Verbraucher oder die Verordnung von oben?

Ganz ehrlich: Wenn wir nur auf die Reaktion der Verbraucher angewiesen wären, dann müssten wir lange warten. Unternehmen handeln zwar häufig aus Angst vor Reputationsschäden, sie stellen aber auch fest, dass nachhaltige Produkte durch wachsende Nachfrage honoriert werden. Die Drogeriemarktkette dm hat eine eigene erfolgreiche Naturkosmetikmarke ins Leben gerufen, REWE und Edeka sind mit Bio-Eigenmarken erfolgreich. Auch wenn die Masse der Konsumenten vor allem auf den Preis schaut, gibt es eine wachsende Klientel, die nach alternativen Produkten fragt. Wer diese Gruppe zuerst erschließt, gewinnt etwas, das ist also auch ein Business Case.

Welche Tonalität ist in Richtung Verbraucher zielführend? Geht es um Fakten, Gefühle oder das schlechte Gewissen?

Schlechtes Gewissen zieht heute nicht mehr. Die Missstände alleine erschlagen den einzelnen Verbraucher eher, als dass sie ihn zum Handeln motivieren. Wir von Utopia haben uns auch mit der Absicht gegründet, andere – und zwar positive – Geschichten über bewussten Konsum zu erzählen. Die Leute wissen, dass Jeans in Asien oft so hergestellt werden, dass die Umwelt belastet wird und die Arbeiter krank werden, sie kennen die Bilder. Wir erklären ihnen lieber, wie es möglich ist, eine Bio-Jeans herzustellen, die auch noch fair gehandelt wird. Wichtig ist auch, dass nachhaltige Produkte attraktiv sind. Es gibt eine kleine, leidensbereite Zielgruppe, aber der Großteil der Verbraucher möchte auf attraktive Produkte nicht verzichten – und das ist ja auch machbar.

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Zimmermann Editorial

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