Im klassischen Journalismus etablieren sich Newsgames langsam. New York Times oder WIRED nutzen sie, um komplexe Inhalte, einfach, erlebbar und spielerisch zu vermitteln. Über ihr Potenzial für die Unternehmenskommunikation sprachen wir mit Marcus Bösch, Journalist und Geschäftsführer des Serious Games Studios The Good Evil.
Marcus, was genau sind „Newsgames“?
Newsgames sind Spiele, die im Kontext von Journalismus verwendet werden. Die Idee dahinter ist es, journalistische Inhalte durch ein Spiel besser verständlich zu machen, anstatt sie in den gängigen Formaten des Journalismus aufzubereiten. Das heißt aber nicht, dass ein Newsgame eine Reportage etwa zwangsläufig ersetzen muss. Ein Spiel kann sehr gut ergänzend eingesetzt werden, zum Beispiel, um bei einer Reportage einen gewissen Aspekt zu vertiefen.
Was kann ein Spiel, das ein Text nicht kann?
Spiele ermöglichen es, eigene interaktive Erfahrungen mit einem Thema zu machen. Es ist mächtiger etwas selber zu tun, als nur darüber zu lesen. Spiele können so eine sehr intensive und persönliche Auseinandersetzung mit einem Thema hervorrufen. Darüber hinaus erlauben sie es dem Spieler, in andere Rollen zu schlüpfen und Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Spiele sind ideal, um komplexe Sachverhalte und Zusammenhänge einfach und erlebbar zu transportieren.
Hast du ein Beispiel dafür?
Das Spiel „Budget Hero“ ist eine spielerische Auseinandersetzung mit der Haushaltspolitik der USA. „Budget Hero“ ermöglicht es mir Milliarden Steuer-Dollar so zu verteilen, wie ich es für richtig halte. Ich kann etwa die Bereiche Bildung und Wissenschaft fördern. Oder aber ich investiere in das Gesundheitssystem oder das Militär. Wie auch immer ich mich entscheide, jede meiner Investitionen hat Effekte auf das gesamte System. So wird relativ schnell klar, wie komplex und dynamisch die Zusammenhänge zwischen Einnahmen und Ausgaben sind. Ein Text könnte das zwar beschreiben, das Spiel hingegen lässt mich die Erfahrung selber machen. Spiele können aber auch andere Funktionen haben, etwa eine politische Meinung transportieren.
Wie kann ich mir das vorstellen?
2001 hat Gonzalo Frasca das erste Newsgame programmiert. Er hatte damals von der Problematik gelesen, dass Hilfslieferungen, die von den US-Truppen während des Afghanistan-Krieges aus der Luft abgeworfen wurden, Häuser von Zivilisten zerstören. Ihre Aufgabe sollte es sein, den Leuten vor Ort zu helfen. Tatsächlich wurden ihre Häuser von Hilfspakten zerstört. Frasca fand diese Tatsache so bizarr, dass er ein Spiel daraus gemacht hat, das diesen Punkt überspitzt darstellt.
Hätte ein klassischer „Kommentar“ nicht dieselbe Wirkung gehabt?
Natürlich hätte er seine Meinung dazu auch schriftlich verfassen können. Die Wirkung wäre aber eine völlig andere gewesen. Ich kann zwar einen politischen Leitartikel lesen und mir meine Gedanken dazu machen. Wenn ich aber ein kurzes, kleines Szenario spiele und die Botschaft in der Spiele-Mechanik enthalten ist, ist das sehr viel mächtiger. Das im Spiel erlebte wird Teil meiner eigenen Erfahrung.
Journalismus hat zunächst die Aufgabe zu informieren. Spiele hingegen sollen Spaß machen. Wie passt das zusammen?
Das hängt von der Erwartungshaltung ab. Bei Breaking News will ich schnell und gründlich informiert werden. Da habe ich keine Lust auf ein Spiel. Ähnlich wäre es, wenn ich am Bahnhof meinen Zug erreichen muss, aber am Fahrkartenschalter zuerst noch ein lustiges Puzzle lösen soll. Das funktioniert nicht. Es geht vielmehr darum, die Vorteile des neuen Mediums zu nutzen und sie an andere Bereiche anzudocken.
Welche Bereiche können das sein?
Man kann ein Spiel etwa als Einfallstor nutzen, um ein Thema zugänglicher zu machen. Diese Hürde ist bei Spielen oft geringer als bei Texten. Die New York Times hat zum Beispiel mal ein Spiel gemacht, bei dem der Spieler während einer simulierten Autofahrt die Fahrspuren wechseln und gleichzeitig eine SMS schreiben musste. Das Spiel zeigt, wie gefährlich das sein kann. Es macht aber zugleich Spaß und fordert die Geschicklichkeit heraus. Durch das Spiel entsteht Aufmerksamkeit für das Thema und möglicherweise auch der Wunsch nach weiterführenden Informationen.
Erreicht man mit Newsgames überhaupt Zielgruppen jenseits der Pubertät?
Der durchschnittliche „Gamer“ ist heute Mitte 30 und mit Computerspielen aufgewachsen. Und diejenigen, die auf Facebook „Angry Birds“ oder „FarmVille“ spielen sind häufig Frauen jenseits der 40.
Mit dem Bild des pickeligen Jugendlichen, der ohne Tageslicht vor dem Bildschirm sitzt, hat das wenig zu tun.
Dieses Bild greift nicht mehr. Wir sind von digitalen Spielen und interaktiven Anwendungen umgeben. Spiele sind längst im Feuilleton angekommen und werden breit debattiert. Außerdem werden Spiel-Elemente in anderen gesellschaftlichen Kontexten ja schon seit langem eingesetzt.
Wo zum Beispiel?
Jede Rabatt-Aktion setzt im Prinzip darauf, eine alltägliche Handlung zu belohnen. Auch die Idee, Mitarbeiter für besondere Leistungen mit einer Art Abzeichen zu belohnen, ist ja nicht neu. In den letzten Jahren haben einige Unternehmen versucht, diesen Effekt in die digitale Welt zu übertragen. Etwa wenn Mitarbeiter eines Call Centers für besondere Leistungen in der digitalen Welt belohnt werden und darin mit ihren Kollegen wetteifern können. Das soll Mitarbeiter zu höheren Leistungen motivieren. Das Ergebnis ist allerdings oft das genaue Gegenteil: Schlecht umgesetzte Spiel-Ideen oder Belohnungen, die gar keine sind.
Gibt es Beispiele für „Corporate Games“, die sinnvoll sind?
Ein zentrales Problem ist immer die Freiwilligkeit. Wenn ich zum Spielen gezwungen werde, verliere ich die Lust. Unternehmen müssen Angebote zu schaffen, die man von sich aus annimmt. Der Einsatz von Spielen in Unternehmen ist aber grundsätzlich sehr breit gefächert. Da wäre etwa ihr Einsatz in Assessment Centern oder bei Trainings. Wenn etwa der Manager bei Coca Cola spielerisch lernt, einen erfolgreichen Vertrieb aufzubauen. Ihre Stärke entfalten Spiele aber vor allem wenn es darum geht, komplexe Themen einfach und verständlich zu vermitteln.
Das ist gerade in der internen Kommunikation ein großes Thema.
Die Anforderung, große Zusammenhänge zu vermitteln, stellt sich ja in vielen unternehmerischen Kontexten. Wenn es etwa darum geht, eine neue strategische Aufstellung zu kommunizieren: Warum werden wir in neue Märkte eintreten? Warum müssen wir auf veränderte Kundenerwartungen reagieren? Das sind Themenkomplexe, die oft nur schwer vermittelbar sind und bei denen Einbindung eine wichtige Rolle spielt. Natürlich kann ein Spiel alleine das auch nicht schaffen. Ein Artikel im Mitarbeitermagazin schafft das aber auch nicht im Alleingang. Es geht immer um integrierte Kommunikation. Spiele können hier andere Kanäle sinnvoll flankieren.
Wie aufwendig ist es, so ein Spiel zu entwickeln?
Das kommt darauf an, was man haben will. Einfache Spiele sind aber relativ schnell gemacht. Große und aufwendige Spiele brauchen natürlich ihre Zeit. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass ein gutes Spiel nicht davon abhängt, wie aufwendig die Graphik ist. Spiele-Klassiker wie „Tetris“ oder „Pac Man“ zeigen, dass es nicht immer auf große 3D-Effekte ankommt. Wenn die Grundidee stimmt, kann man sich stundenlang mit ihnen beschäftigen ohne sich zu langweilen.
Über die Person
Marcus Bösch ist gelernter Journalist und Geschäftsführer des Serious Game Studios The Good Evil. Daneben unterrichtet und doziert er als Trainer in den Themenbereichen Mobile Reporting, Newsgames und Drohnenjournalismus.
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