Fachbeitrag
07
02
2024

Ähm … also … genau!

Füllwörter werden allgemein als störend empfunden. Sie lassen die redende Person unsicher, nervös oder gar inkompetent wirken. In der Sprachwissenschaft genießen die Lückenfüller allerdings einen weitaus besseren Ruf.
Fachbeitrag
07
02
2024

Ähm … also … genau!

Füllwörter werden allgemein als störend empfunden. Sie lassen die redende Person unsicher, nervös oder gar inkompetent wirken. In der Sprachwissenschaft genießen die Lückenfüller allerdings einen weitaus besseren Ruf.
Ähm … also … genau!

„Sie haben während Ihrer Präsentation zu viele Interjektionen benutzt. Daran müssen Sie dringend arbeiten.“ Es ist einer dieser Sätze, die mir aus meiner Studienzeit im Gedächtnis geblieben sind. Er fiel während eines Seminars über Präsentationstechniken. Gleich zu Beginn machte uns unser Professor darauf aufmerksam, dass Füllwörter, sogenannte Interjektionen, die Zuhörer:innen stören würden.

Das erschien mir durchaus logisch. Bei den Probe-Präsentationen, die dieses Phänomen belegen sollten, fielen mir die Lückenfüller selbst immer wieder negativ auf. Ein Gefühl, mit dem ich nicht allein dastehe. Interjektionen gelten oft als Beleg dafür, dass der oder die Redner:in nicht mehr weiter weiß, unsicher oder sogar uninformiert ist. In der Sprachwissenschaft allerdings gilt diese Annahme als längst überholt. Neuster Forschung zufolge sind Füllwörter sogar eher nützlich als problematisch.

Ähm, äh, hmm – Denkpause und Reparaturwerkzeug für Sprecher:innen

Sind einem diese sogenannten Hesitationen einmal aufgefallen, ist es schwer den Fokus davon wegzulenken. Es ist, als ob man zum ersten Mal ein neues Automodell auf der Straße sieht. Plötzlich sieht man es an jeder Ecke.

Im normalen Gesprächsverlauf gehen die Füllwörter jedoch unter und sind nach Meinung zahlreicher Linguist:innen sogar nützlich, sofern sie in Maßen eingesetzt werden – und das sowohl für die sprechende Person als auch für die Zuhörer:innen.

Der redenden Person dienen Interjektionen unter anderem als Denkpausen. Wenn man den roten Faden verloren hat, folgt meist unbewusst eine Interjektion wie äh oder ähm. In dieser Zeit kann man seine Gedanken sortieren und den Gesprächsfaden wieder aufnehmen.

Füllwörter dienen auch als eine Art Reparaturwerkzeug. Wenn man sich im Gespräch verhaspelt, lässt sich das falsch ausgesprochene Wort wieder reparieren: „Ressig… äh Regisseur“.

Von Modalpartikel bis Heckenausdruck

Füllwörter sind also mehr als bloß lästige Knoten in der Zunge oder gedankliche Aussetzer. Sie erfüllen verschiedene Zwecke und werden grundsätzlich in drei verschiedene Gruppen einsortiert.

  1. Diskursmarker: Diskursmarker dienen in Unterhaltungen der Struktur und Gliederung. Dazu zählen im entsprechenden Kontext Wörter wie: jedenfalls, genau oder obwohl. Beispiel: Ich mag Tomatensauce, obwohl ich Tomaten nicht mag.
  2. Modalpartikel: Modalpartikel haben keine genaue Bedeutung im Satz oder verändern seinen Inhalt. Sie dienen der sprechenden Person dazu, einem Satz die passende Emotion zu geben und zu zeigen, wie die Person zu einem Thema steht. Dazu zählen im entsprechenden Kontext Wörter wie: wohl, doch, mal, ja oder eben. Beispiel: Wir waren doch gestern schon im Kino.
  3. Heckenausdrücke: Heckenausdrücke machen Aussagen undurchsichtiger, schwächen Meinungen ab oder machen Formulierungen höflicher. Dazu zählen im entsprechenden Kontext Wörter wie: vielleicht, irgendwie, quasi oder was weiß ich. Beispiel: Das war vielleicht etwas gemein.

Besseres Verständnis durch Interjektionen

Linguistiker:innen gehen sogar einen Schritt weiter als Füllwörter bloß zu klassifizieren und tolerieren. Sie sehen Interjektionen als nützlich an: Die Zuhörenden könnten Informationen demnach durch Äh’s und Ähm’s schneller verstehen und verarbeiten. Jean Fox-Tree, Psychologieprofessorin an der University of California, untermauerte diese These mit einem Experiment: Darin bekamen die Probantinnen zwei Tonspuren vorgespielt. Die unbearbeitete Audiodatei enthielt alle natürlichen Ähm’s und Äh’s. In der bearbeiteten Datei wurden die Interjektionen herausgeschnitten.

Die Probant:innen wurden dazu aufgefordert, auf einen Knopf zu drücken, sobald sie ein bestimmtes Wort hören. In der originalen Tondatei kamen die Wörter immer unmittelbar nach einem Ähm oder Äh, welche in der bearbeiteten Fassung nicht mehr vorhanden waren. (Listeners’ uses of um and uh in speech comprehension)

Die Testpersonen, die vor den entsprechenden Begriffen Äh’s und Ähm’s hörten, reagierten signifikant schneller auf die Wörter als jene, die die digital veränderte Tonspur hörten.

Die amerikanische Sprachforscherin Larssyn Staley setzte sich mit einem Aufnahmegerät in 23 verschiedene Restaurants und nahm die Unterhaltungen mit den Kellner:innen auf. Das Ergebnis: Die Kellner:innen nutzten die Interjektionen einerseits, um Versprecher zu korrigieren. Andererseits wurden die Sprechpausen genutzt, um Speisen oder Getränke voneinander zu trennen, den Satz zu strukturieren und einzelne Wörter hervorzuheben: „Das australische Lammcarré wird mit einer äh Kruste serviert ähm mit einer Kräuter- und ähm einer Vollkorn-Senfkruste“ („The uh deconstructed pumpkin pie“: The use of uh and um in Los Angeles restaurant server talk").

Bei Präsentationen oder Vorträgen ist das „Powerpoint-Genau“ besonders beliebt. Diesen Ausdruck prägte der Freiburger Linguist Peter Auer. Besonders bei Präsentationen und Vorträgen wird das Genau als eine Art Gliederung genutzt, beispielsweise beim Übergang von einer Folie auf die nächste.

Keine Scheu vor Ähm’s und Äh’s

Vor dem nächsten Meeting, der nächsten Präsentation oder dem nächsten Vortrag gilt also: Keine Scheu vor Ähm’s oder Äh’s. Sie helfen den Zuhörer:innen, dem Gespräch zu folgen, Begriffe besser zu verstehen und Aussagen einordnen zu können. Und Sprecher:innen können so Worte korrigieren, Pausen machen, ihren Gedanken wiederfinden und Sätzen die äh … richtige Konnotation verleihen.

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Geschrieben von Zimmermann Editorial

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