Streiten ist ein bisschen wie Sport. Wer’s zu selten macht, ist schnell aus der Übung. Und vielerorts herrscht Trainingsmangel. Diskussionen zu Themen wie Gendern, Klimaschutz oder veganer Ernährung entwickeln sich immer seltener zu einem produktiven Austausch. Differenzierte Argumente, Perspektivwechsel? Fehlanzeige. Vielmehr scheint es: Wer nicht meiner Meinung ist, ist gegen mich.
Die digitalen Echo-Kammern: Schuldige und Treiber zugleich
Dass soziale Medien diese Entwicklung befeuern, ist nichts Neues. Facebook, Instagram, TikTok und selbst LinkedIn befördern die Bildung von Blasen, die zum digitalen Dauermonolog führt. Gleichgesinnte wiederholen ähnliche Gedanken, andere Perspektiven kommen kaum vor.
Der Austausch bleibt oberflächlich und läuft darauf hinaus, dass Menschen sich zunehmend über ihre Meinung definieren – statt sie reflektiert zu vertreten. In Kommentarspalten werden Gegenpositionen oft schnell und pauschal verurteilt. Die Folge, auch in der analogen Welt: Wer heute eine unpopuläre Meinung hat, wird vorsichtig, wägt Worte und Aussagen ab. Das Leitmotiv: Bloß nicht in die Schusslinie geraten.
Warum Streit Unternehmen hilft
Ja, Streit kann laut, anstrengend und emotional sein. Aber das ist kein Grund, ihn zu vermeiden. Es liegt durchaus auch eine Schönheit darin, sich in hitzige Diskussionen zu begeben – selbstverständlich ohne dass es persönlich wird – und am Ende mit neuen Perspektiven herauszugehen.
Die besten Diskussionen entstehen oft genau dort, wo Emotion mitschwingt. In diesen Situationen zeigt sich eine Stärke, die jenseits des bloßen Konsenses liegt: Die Fähigkeit, andere Standpunkte ernsthaft zu prüfen und dabei trotzdem seine eigenen Argumente zu schärfen. Wer sich darauf einlässt, kann nur gewinnen. Warum geben wir also Streit nicht den Raum, den er verdient? Konkret: Warum tut die Unternehmenskommunikation das nicht in den Unternehmen?
Plattform für Debatten
Gerade Kommunikator:innen können einen entscheidenden Beitrag leisten, um konstruktiven Streit zu fördern. Warum nicht endlich die Potenziale des Social Intranets entfesseln und die Mitarbeitenden zu (moderierten) Diskussionen einladen? Oder ein Pro- & Contra – eine leider vom Aussterben bedrohte Rubrik – im Mitarbeitenden-Magazin? Auch Veranstaltungsformate, die gezielt verschiedene Meinungen zusammenbringen, sind eine Chance, das Bewusstsein für die Relevanz von Streit- und Debattenkultur zu stärken.
Wir brauchen eine Streitkultur, die sich der großen Transformationen annimmt, die selbstverständlich auch Unternehmen und Arbeitswelten erfassen. Eine Kultur, in der der Austausch von Argumenten, Perspektiven und Erfahrungen offen und ohne persönliche Angriffe geführt wird. Denn echter Streit bedeutet: Meinungsverschiedenheiten aushalten und daran wachsen – als Team, als Unternehmen, als Gesellschaft.