Fachbeitrag
07
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2023

Gut zu lesen? Leicht zu skimmen!

Früher war es das weiße Blatt. Heute treibt Autor:innen und Redakteur:innen die Angst vor dürren Zahlen in Google Analytics um. Eine gute Online-Textperformance hat auch mit guter Lesbarkeit zu tun – und mit dem, was vor dem Lesen passiert.
Fachbeitrag
07
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2023

Gut zu lesen? Leicht zu skimmen!

Früher war es das weiße Blatt. Heute treibt Autor:innen und Redakteur:innen die Angst vor dürren Zahlen in Google Analytics um. Eine gute Online-Textperformance hat auch mit guter Lesbarkeit zu tun – und mit dem, was vor dem Lesen passiert.
Gut zu lesen? Leicht zu skimmen!

Nur mal kurz vorstellen bitte, auch wenn es weh tut: Du hast viele Stunden an deinem Onlinetext gearbeitet. Gründlich recherchiert, an der Struktur und an den Sätzen gefeilt. Nachdem der Text vier Wochen online steht, haben ihn, sagen wir, 257 Personen geklickt. Die Verweildauer ist aber so traurig, dass du die Zahlen sofort wieder vergessen hast.

Kurz gesagt, der Text scheint kaum jemanden zu interessieren. Diejenigen, die den Weg auf die Website und den Text gefunden haben, waren aus irgendeinem Grund nicht bereit zu bleiben – und zu lesen. Ein Grund dafür kann sein, dass die User erst gar nicht bis zum eigentlichen Lesevorgang durchhalten. Was ist da los?

Was hat das Lesen mit dem Medium zu tun?
Ein Buch ist ein Medium, das sich sehr gut zum Lesen eignet. Wer ein Buch in die Hand nimmt, hat auch meistens vor, darin zu lesen, also den Wörtern und Sätzen Zeile für Zeile zu folgen. Bei Print-Magazinen sieht die Sache schon etwas anders aus.

Hier spielt das Schauen und Blättern eine große Rolle. Das Lesen auch. Aber anders als im Buch, will der Blick hier über die Seiten gelenkt werden. Es braucht anregende Überschriften und Teaser. Längere Texte locken die Lesenden mit einem szenischen Einstieg in den Text oder mit einem ersten Satz, der einen gleich fesselt.

Auf dem Desktop oder dem Smartphone ist die Konkurrenz für Lesetexte noch größer. Das belegt zum Beispiel die ARD/ZDF Onlinestudie 2023: Bei der medialen Internetnutzung erreichen Texte nur eine Reichweite von 36 Prozent. Audioformate kommen auf 37 und Videos auf 50 Prozent.

Beim Vergleich von Online und Print haben es Lesetexte im Netz aber auch noch aus anderen Gründen schwer: Online-User haben eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne. Die Geduld ist minimal. Wer nicht sofort gepackt wird oder findet, was er oder sie sucht, klickt schnell weiter oder scrollt über den Text hinweg.

Auch die bunten und bewegten Werbebanner, eingebettete Videos und Pop-ups erschweren die Fokussierung. Texte müssen sich gegenüber interaktiven Elementen durchsetzen, die visuell laut nach Aufmerksamkeit schreien.

Weil es Online so funktioniert
Menschen, die wie ich noch am liebsten auf Papier lesen, neigen manchmal dazu, den Lauf der Dinge zu beklagen. Das nützt niemandem und am wenigsten einem selbst. Und es nützt auch nichts, Marketingleiter:innen und Unternehmenskommunikator:innen zu erklären, dass ein papiergebundenes Magazin oft mehr erreicht als ein Online-Magazin.

Da kann man viel erzählen über eine besserer Kundenbindung, bessere Erreichbarkeit und einen günstigeren Preis pro Touchpoint. Online ist auch nicht automatisch nachhaltiger. Hilft alles nichts, weil Print alt ist und Online neu. Gegen dieses Argument kommt niemand an. Sorry, dieser kurze Exkurs musste sein.

Die Rettung aus der Misere ist: Man macht es so gut es eben geht und besser als die anderen. Und für Menschen, die professionell fürs Web schreiben, bedeutet das: Texte produzieren, die maximal gut lesbar sind. Denn wie eben schon angedeutet, muss das Ziel sein, sich mit seinem Text auf das flackernde und ablenkende Umfeld eines Screens so anzupassen, dass er eine Chance hat, wahrgenommen und gelesen zu werden. Es geht jetzt also um das, was vor dem eigentlichen Lesen passiert.

Was passiert vor dem Lesen?
Für Online-Medien haben Menschen eigene Formen des Leseverhaltens entwickelt. Skimming und Scanning sind Modelle, also Annäherungen, mit denen sich die komplexen Vorgänge fassen lassen, die sich zwischen Screen, Auge und Gehirn abspielen, wenn wir eine Website sehen.

Was ist Skimming? Was ist Scanning?
Beim Skimming geht es darum, einen Text schnell zu überfliegen, um einen Überblick über den Inhalt zu bekommen. Dabei wird die Seite nach Elementen abgesucht, die schnelle Orientierung bieten.

Scanning ist so ähnlich, allerdings steht hier das gezielte Suchen im Vordergrund. Skimmen ist also weniger zielgerichtet und dem lustvollen und unspezifischen Blättern in einem Print-Magazin vergleichbar. Beim Scannen möchte man etwas finden und hat auch schon einen inhaltlichen Fokus, mit dem man sucht.

Was passiert bei den Lesetechniken Skimmen und Scannen?
Die Augenbewegung beim Lesen, Skimming und Scanning von Online-Texten unterscheidet sich je nach der Lesetechnik und dem Ziel des Lesers oder der Leserin. Beim eigentlichen Lesen, wie man es in einem Buch gewöhnlich tut, folgen die Augen in der Regel einer relativ gleichmäßigen horizontalen Bewegung entlang der Zeilen, mit gelegentlichen vertikalen Bewegungen, um zur nächsten Zeile zu springen. Der Fokus liegt auf dem Verständnis des gesamten Textes, daher werden die meisten Wörter und Sätze wahrgenommen und verarbeitet.

Beim Skimming bewegen sich die Augen schneller und weniger gleichmäßig. Auch ist die Bewegung eher vertikal, wobei die Augen bestimmte Bereiche überspringen. Der Fokus liegt auf dem Erfassen der Hauptgedanken oder der Struktur des Textes.

Beim Scanning bewegen sich die Augen sehr schnell und zielgerichtet über den Text. Der Fokus liegt auf der Suche nach spezifischen Schlüsselwörtern oder Informationen, und es wird nur der Textteil beachtet, der diese Informationen vermuten lässt.

Lesbarkeit: Wie sollten Texte sein, damit Skimming und Scanning gut funktioniert?
Obwohl es sich um zwei unterschiedliche und einander ergänzende Lesetechniken handelt, sind die Mittel weitgehend identisch, mit denen man Texte so optimiert, dass sie einen guten ersten Eindruck machen und die Lesenden auf der Seite halten.

Entsprechend verwendet ein gut zu skimmender und zu scannender Text klare Überschriften und Zwischenüberschriften. Die Formulierungen sind prägnant und aussagekräftig. Dies ermöglicht es den Leser:innen, schnell die relevanten Abschnitte zu finden. Die Absätze zwischen den Zwischenüberschriften sind kurzgehalten, denn lange Textblöcke können abschreckend wirken und das schnelle Lesen erschweren.

Mit dem Charme eines Online-Ratgebers
Auch Bullet Points und Listen mit Aufzählungszeichen erleichtern das schnelle Erfassen von Schlüsselpunkten. Fettdruck oder andere Hervorhebungen markieren wichtige Begriffe. Um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, kann man zwischen Vorspann und Haupttext noch eine kurze einleitende Zusammenfassung setzen, der die Hauptpunkte des Textes skizziert. Und am Schluss dann nochmal das Ganze als pointiertes Fazit.

Für ungewöhnliche Spannungsbögen, Zweideutigkeiten und andere kreative Grauzonen ist im Skimming-optimierten Text kein Platz. Der soll logisch strukturiert sein, damit er möglichst intuitiv erfasst werden kann. Was soll‘s, am besten stellt man sich seine potenzielle Lesekundschaft als einen menschgewordenen Suchmaschinen-Algorithmus vor. Oder man verfasst Texte nach dem Vorbild digitaler DIY-Anleitungen.

Und auf dem Smartphone?
Beim Skimming und Scanning auf mobilen Endgeräten gelten grundsätzlich ähnliche Regeln wie bei der Desktopansicht, aber es gibt einige zusätzliche Aspekte zu beachten, die speziell für das Lesen auf kleineren Bildschirmen relevant sind:
Kompaktere Überschriften und Zwischenüberschriften: Aufgrund des kleineren Bildschirms sollten Überschriften und Zwischenüberschriften noch prägnanter sein, um schnell erfasst werden zu können. Noch kürzere Absätze: Auf kleinen Bildschirmen können selbst mittellange Absätze überwältigend wirken. Kurze Absätze verbessern die Lesbarkeit und das Skimming.

Fazit
Eine gute Lesbarkeit ist für Online-Texte unverzichtbar. Aufgrund der kurzen Aufmerksamkeitsspanne der User, der multiplen visuellen Eindrücke im Netz und des unübersichtlichen Angebots sollten Texte so aufbereitet sein, dass sie sich gut skimmen und scannen lassen.

Denn diese Lesemethoden werden online häufig angewendet, um einen schnellen Überblick über den Gesamtinhalt zu bekommen, beziehungsweise beim Scanning, um das gezielte Suchen nach spezifischen Informationen zu erleichtern.

Eine vereinfachte Lesbarkeit kann sich positiv auf die Verweildauer auswirken, aber sie hat auch Nachteile: Die Texte werden sehr praxisorientiert und schlimmstenfalls langweilig, weil Spielräume für ungewöhnliche Einstiege, Spannungsbögen, Wortspiele etc. verloren gehen.

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Geschrieben von Zimmermann Editorial

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