Interview
03
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2024

„Kein Zuckerwatte-Journalismus“

Lösungsorientiert, empathisch, aber trotzdem kritisch – konstruktiver Journalismus will mediale Berichterstattung neu denken. Anke Gehrmann hat einen Workshop dazu entwickelt und erklärt, worauf es ankommt und was die Unternehmenskommunikation davon mitnehmen kann.

Lösungsorientiert, empathisch, aber trotzdem kritisch – konstruktiver Journalismus will mediale Berichterstattung neu denken. Anke Gehrmann hat einen Workshop dazu entwickelt und erklärt, worauf es ankommt und was die Unternehmenskommunikation davon mitnehmen kann.

Interview
03
09
2024

„Kein Zuckerwatte-Journalismus“

Lösungsorientiert, empathisch, aber trotzdem kritisch – konstruktiver Journalismus will mediale Berichterstattung neu denken. Anke Gehrmann hat einen Workshop dazu entwickelt und erklärt, worauf es ankommt und was die Unternehmenskommunikation davon mitnehmen kann.

Lösungsorientiert, empathisch, aber trotzdem kritisch – konstruktiver Journalismus will mediale Berichterstattung neu denken. Anke Gehrmann hat einen Workshop dazu entwickelt und erklärt, worauf es ankommt und was die Unternehmenskommunikation davon mitnehmen kann.

„Kein Zuckerwatte-Journalismus“

Du bist unzufrieden mit der Art, wie in deutschen Medien berichtet wird. Was stört dich?
Wir sind in einem Dilemma. Die Menschen werden nachrichtenmüder und vertrauen den Medien immer weniger. Gleichzeitig ist es unser verfassungsmäßiger Auftrag, zu informieren. Da ist die Frage: Wie können wir die Menschen wieder erreichen? Und wie können wir über eine Welt berichten, die nunmal so ist, wie sie ist? Am Ende bin ich nicht unzufrieden, sondern ich glaube, wir Journalist:innen machen es uns ein bisschen zu einfach, indem wir unsere Verantwortung von uns schieben, und ich frage mich: Ist konstruktiver Journalismus vielleicht ein Weg raus aus diesem Dilemma?


„Konstruktive Berichterstattung“ – was heißt das für dich?
Ich habe drei Grundregeln definiert. Erstens geht konstruktiver Journalismus immer einen Schritt weiter. Klassischer Journalismus hört da auf, wo das Problem ausreichend benannt und erklärt ist, konstruktive Berichterstattung fragt „was jetzt?“. Zweitens ist konstruktiver Journalismus nur eine von vielen Gattungen wie dem Nachrichten- oder dem Investigativjournalismus. Drittens ist konstruktiver Journalismus lösungs- und zukunftsorientiert, aber auch kritisch. Es geht darum, Lösungen zu hinterfragen. Diese Form der Berichterstattung hat aber auch Grenzen. Da, wo nicht konstruktiv berichtet werden kann, wird nicht konstruktiv berichtet. Angesichts von Leid, Tod und Krieg wäre es zynisch, unbedingt irgendeine konstruktive Brille aufsetzen zu wollen.

Warum glaubst du, kann man mit so einem Ansatz die Leute besser erreichen als mit klassischem Journalismus?
Die Neurowissenschaft hat gezeigt: Unser Gehirn ist so gepolt, dass wir eher auf negative Dinge anspringen. Aber bekommen wir immer nur Negatives gezeigt, rutschen wir in eine Art „erlernte Hilflosigkeit“. Der konstruktive Journalismus zeigt Lösungen auf. Das gibt den Menschen ein Gefühl von Selbstwirksamkeit zurück – auch wenn sie selbst nicht involviert sind.
Konstruktiver Journalismus sieht sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, zu positiv zu sein. Alles nur positiv zu malen, davon ist konstruktiver Journalismus weit entfernt. Wir wollen nicht Leid oder Probleme bagatellisieren und nur Zuckerguss darüber gießen. Das wäre wiederum eine Verzerrung ins toxisch Positive. Auf der anderen Seite frage ich mich auch: Warum ist es eigentlich legitim, dass man in der Berichterstattung ins toxisch Negative gehen darf und andersherum nicht?


Wie verändert sich durch dieses Arbeiten das Selbstverständnis der Medienschaffenden?
Wir kommen weg von tradierten Vorgaben, wie die „Heldenreise“ oder die „Nachrichtenfaktoren“, die ja genaugenommen gar nicht als Anleitung gedacht waren. Aktuell konfrontieren wir vor allem und versuchen sklavisch, neutral zu sein. Aber dadurch verhärten wir sogar eher die Fronten. Ich glaube, dass Medienschaffende mit konstruktiver Berichterstattung wieder lernen, wirklich zuzuhören. Die Menschen erst mal verstehen und dann berichten – und so zum gegenseitigen Verständnis beitragen.


Wie können Medienschaffende diesen Ansatz konkret im Joballtag umsetzen?
Grundsätzlich hilft es, die klassischen W-Fragen um die Grundsatzfrage „was jetzt?“ zu ergänzen. Das bringt den Fokus weg vom Problem und der Vergangenheit, hin zu etwas Neuem in die Zukunft. Dann braucht man mehr Zeit für gründliche Recherche. Und man darf sich auch die Zeit nehmen, zu trainieren: in konstruktiven Fragetechniken oder empathischem Zuhören, um so in eine Grundhaltung des Verstehen-Wollens zu kommen. Das ist wie das Lernen einer Fremdsprache und die Basis von allem.


Mit konstruktivem Journalismus könnten sich ja auch ganz schöne Synergien zwischen Unternehmenskommunikation und Presse entwickeln. Wenn Journalisten gezielt nach Best-Practice-Fällen suchen und mein Unternehmen innovative Lösungen bietet, kann man ja zusammenfinden.
Ja, das stimmt. Wenn es in einem Unternehmen eine tolle Idee gibt, kann die Unternehmenskommunikation das entsprechend medial präsentieren. Viele Redaktionen sind inzwischen offen für solche Geschichten. Journalisten sehen auch: Da sind ganz viele fitte Köpfe mit tollen Ideen, die wirklich weiterhelfen können und wollen. Dazu vielleicht noch Belege liefern, dass es sich hierbei nicht beispielsweise um eine einmalige „Greenwashing-Aktion“ handelt.


Was kann sich die Unternehmenskommunikation für die eigene Medienarbeit vom konstruktiven Journalismus abschauen?
Sicherlich das Konzept der gewaltfreien Kommunikation, das dem konstruktiven Journalismus innewohnt. Es basiert auf der Annahme, jeder tue Dinge immer aus einer für sich positiven Motivation heraus. Ganz radikal gesagt: Auch ein Diktator oder ein Donald Trump hat für sich gute Gründe, warum er das macht, was er macht. Oder irgendein CEO trifft eine Entscheidung nicht, um seinen Mitarbeitenden zu schaden, sondern weil er unter wirtschaftlichem Druck steht. Diese persönlichen Beweggründe können wir versuchen zu verstehen und zu vermitteln. Dann kann man verbunden und trotzdem unterschiedlicher Meinung sein.


 
Über Anke Gehrman
Beim Start ins Berufsleben wurde Anke Gehrmann gefragt: Willst Du die Welt retten oder lieber den Film darüber machen. Sie entschied sich für Letzteres, studierte Journalistik, Kulturwissenschaft und Politik in Leipzig und Havanna. Es folgten Dokus und Reportagen fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen. Doch es blieb immer die gewisse Leere: Reicht es, Missstände nur zu veröffentlichen? Der konstruktive Journalismus war das fehlende Puzzleteil. Für die Reporterfabrik hat sie den Workshop „Journalismus. Aber positiv?“ konzipiert, der sich auch an Nicht-Journalist:innen richtet. Zudem arbeitet sie als Trainerin für gewaltfreie Kommunikation. Mehr Infos zu Anke gibt es hier.


Mehr Infos zum konstruktiven Journalismus gibt es auf der Website des Bonn Institute für konstruktiven Journalismus.

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Geschrieben von Zimmermann Editorial

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