Die Geister, die wir riefen

Wenn Newsrooms auf Hochtouren produzieren, bleibt die Idee der Content-Kommunikation schnell auf der Strecke.

Nachts kann man es am besten sehen. Im Dunkeln wird der Beweis erbracht, dass alles auf der Welt knapp ist. Selbst Content. Schon mal nachts ferngesehen? Es wird gesendet, obwohl es nichts zu senden gibt. Serien in Dauerschleife, dümmliche Spiele, abgehangene Film-Schinken. Die Sender müssen das machen. Schließlich: Die anderen Sender machen es ja auch. Anders als Christian Lindner kommen Fernsehdirektoren deshalb zum Schluss: Besser irgendwas senden als nichts senden.

Das Fernsehen in der Nacht sollte allen Content-Schaffenden in den Newsrooms von Unternehmen und in Agenturen ein mahnendes Beispiel sein: Wo Masse zum Maßstab wird, leidet Qualität!

Newsrooms sind per se eine gute Idee. Hier versammeln sich Profis, um Nachrichten und Meinungsbildung rund um ihr Unternehmen und ihre Branche zu bewerten und dann Inhalte für all ihre Unternehmensmedien zielgruppengerecht zu produzieren und zu vertreiben. Das ist vom Ansatz her genau richtig – solange sich der Newsroom nicht wörtlich nimmt und sich nicht zur Geisel der eigenen Kanäle macht. Denn das ist die große Falle. In einer Analyse der kommunikativen Gepflogenheiten im twitternden, politischen Berlin stellte der SPIEGEL kürzlich fest, wie moderne Kommunikationsinstrumente Kommunikation auch verhindern können: „Wie einst im Western der Cowboy gewann, der zuerst den Colt zog, gewinnt nun meist der Politiker, der zuerst zum Handy greift.“ Präsenz ist wichtiger als Inhalt. Geschwindigkeit schlägt Substanz. Alle Kommunikation und Auseinandersetzung erschöpft sich in flotten, zitierfähigen Provokationen oder schlechten Witzen. Was soll auch bleiben, wo in Echtzeit nur noch verknappt und verkürzt werden kann?

Kann das der Weg auch für Unternehmen sein? Senden bis der Arzt kommt? Warum reden so viele von Content Marketing, kümmern sich aber so sehr ums Marketing und so wenig um den Content? Längst ist zu beobachten, dass über den kurzfristigen Hype, die eigenen Kanäle ständig zu befüllen, der Blick auf substanzielle Inhalte und auch eine langfristige Ausrichtung der Kommunikation verloren geht. Vielleicht liegt einer der Gründe dafür in einem Geburtsfehler der Newsrooms: Man hätte sie anders nennen sollen. Nicht „Newsroom“ in Anlehnung und in Vorstellung einer agilen, immer wachen, echtzeitverpflichtenden Zeitungsredaktion. Das kann nicht das Ideal einer Unternehmenskommunikation sein. Ihr muss es ja gerade darum gehen, Halb-Fakten, vorschnellen Urteilen, provokanten Bildern, Gerüchten, kurzgesprungener Analyse und Verballhornung mit substanziellen Inhalten zu begegnen. Content Factory – wenn es denn englisch sein soll – wäre ein passenderer Name.

Über den Autor

Lutz Zimmermann

Vom kleinen Dachstudio ins Großraumbüro in Ehrenfeld – seit Lutz die Agentur 2011 gegründet hat, ist aus einem Zwei-Mann-Unternehmen eine 13-köpfige Agentur geworden. Was sich in all der Zeit nicht geändert hat, ist Lutz‘ Liebe für flache Hierarchien und griffige Überschriften. Und wenn der 1. FC Köln nicht gerade verloren hat, ist er jederzeit für einen Plausch über Sport zu haben.

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